Lebendiges Miteinander

Was wir von der Natur lernen können
Bäume kommunizieren und unterstützen sich gegenseitig. Auf unserem Weg zu einem lebendigen Miteinander können wir die Natur als Lernbegleiterin verstehen. Wir können Impulse empfangen, wenn wir uns in die Natur begeben. Die Jahreszeiten liefern viele Anregungen für lebendige Kooperation. Sie entsteht, wenn wir unseren Impulsen folgen.
Das sagt die Wissenschaft
In Deutschlands Wäldern wird reichlich kommuniziert. Wenn Borkenkäfer einen Baum befallen, wird die Information direkt in einem Umkreis von 50 Metern gestreut, so dass die umliegenden Bäume schützende Harze bilden können. Tobt ein Sturm, so stützen sich die Bäume gegenseitig, indem sie sich mit ihrem unterschiedlich schwingenden Geäst Halt geben. Dieses Miteinander sichert ihnen ein langes Leben, sie werden bis zu 100 oder 200 Jahre, manche sogar noch älter. Ein Eintauchen in die Natur liefert uns viele Impulse für unsere lebendigen Prozesse. Gleichzeitig bin ich mir bewusst darüber, dass auch der harte Wettkampf zur Natur gehört. Doch um den soll es hier nicht gehen.
Um Antworten auf meine Frage zu finden, wandere ich los. Die Bewegung öffnet mein Denken. Was können wir für unsere organischen Prozesse von der Natur lernen?
Bäume haben einen festen Platz innerhalb ihrer Gemeinschaft
Mitten im Wald blicke ich um mich. Prächtige, hochgewachsene Bäume stehen da. Sie recken ihren Stamm gerade nach oben, als wollten sie mit ihren Kronen den Himmel berühren. Zugleich sind sie tief verwurzelt. Manche mit einem dicken Stamm, andere eher dürr. Einige wachsen ganz gerade, andere eher krumm oder es finden sich tiefe Verletzungen im Stamm. Die Bäume haben einen festen Platz innerhalb ihrer Gemeinschaft. Sie gehören dazu, zeigen sich mit ihren schönen wie hässlichen Seiten. Die Natur urteilt nicht, zumindest ist es für mich nicht unmittelbar sichtbar, wie die Bäume denken und fühlen.
Für gelingende Kooperation ist diese Haltung zentral: Ich darf sein und bin willkommen. So dass wir uns sicher und geborgen fühlen. In einer Gemeinschaft können wir vor allem wirken, wenn wir uns ganz zeigen können, mit unserem Licht und unserem Schatten, mit unserer ganz individuellen Perspektive. Mit unseren Potenzialen, die wir zum Gelingen beitragen. Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, gesehen zu werden. Wir wollen einen Platz finden, wo wir etwas Sinnvolles beitragen können. Das bestätigt die Neurobiologie. Es ist eine Haltung, die wir in unserem Yogaunterricht leben: Durch das gemeinsame Üben erfahren wir diese nährende Zugehörigkeit, die uns zuweilen über uns selbst hinauswachsen lässt.
Rituale nähren die Gemeinschaft
Doch wie können wir diese Haltung für ein Mehr an Kooperation leben? In Teams können wir uns immer wieder Räume für das Miteinander und die echte Begegnung gönnen. Zeit, die wir uns schenken, um füreinander da zu sein. Zeit, in der die Beteiligten zum Ausdruck bringen dürfen, was sie zurzeit bewegt. Zeit, in der wir einander von Herz zu Herz zuhören, ohne die üblichen Bewertungen. Bevor wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen, können wir beispielsweise im Kreis zusammenkommen und jede/r darf sich mitteilen: Was fühle ich gerade? Was bewegt mich zurzeit? In einem solchen geschützten Raum, können wir Zugehörigkeit erfahren. Entsprechende Rituale nähren und stärken unsere Gemeinschaft. Neben dieser Grundhaltung können die Jahreszeiten für ein lebendiges, gemeinsames Wirken hilfreich sein.
Im Zyklus der Jahreszeiten
Die Natur orientiert sich mit ihrem Wachsen und Werden an den Jahreszeiten mit ihren unterschiedlichen Qualitäten. Ebenso können auch wir uns auf diese natürlichen Zyklen einlassen. Individuell, wie in dem Team, das wir gemeinsam gestalten möchten.
Mit dem beginnenden Frühling stehen uns alle Möglichkeiten offen. Wir spüren die Energie des Neuen und des Aufbruchs. Bewegende Fragen stellen sich, wenn wir zusammenkommen. In dieser ersten Phase kreieren wir die gemeinsame Vision und lassen Bilder entstehen: Was wollen wir erschaffen? Wozu sind wir hier und wohin zieht es uns? Für welche Sache wollen wir in Führung gehen und wie könnte es aussehen? Wir bereiten die Grundlagen für das, was entstehen will, was uns ruft. Das ist nicht eine schnelle Problemlösung, sondern vielmehr das, was aus unserer gemeinsamen Mitte, aus unseren Herzen, entstehen möchte. Es ist etwas zuvor nie Gewesenes. In dieser Phase findet jeder seinen Platz. Das Miteinander stärkt die Beteiligten und gibt Vertrauen. Wir lassen uns ein auf unbekanntes Terrain. Ein „Ja“ für einen gemeinsamen Schritt bildet sich heraus. Zumindest ist dies hilfreich für die nächste Phase.
Der Sommer symbolisiert die volle Blüte, die Reife, die Fülle. In dieser Zeit beginnen wir schließlich mit der realen Arbeit und übertreten damit die Schwelle vom Denken zum Handeln. Unser gemeinsames Wollen wird lebendig. Eventuell zeigen sich erste Früchte unseres Schaffens. Unsere Wünsche und Sehnsüchte nehmen langsam Gestalt an. In diesem lebendigen Prozess hat jeder seinen Platz und trägt das bei, was er/sie einbringen kann und möchte. Die Verantwortung wird geteilt, idealerweise gestalten wir unser gemeinsames Wirken frei von hierarchischen Strukturen, die unsere Lebendigkeit ausbremsen. Wohl aber entstehen diverse Rollen und Aufgaben, die von Einzelnen übernommen werden.
Im Herbst ist das Loslassen zentral. Wir sind eingeladen, das gemeinsame Projekt zu beenden. Oder einen Zwischenstopp einzulegen, so dass wir zurückblicken können. Wir feiern und würdigen, was war und was entstanden ist. Und wir sind eingeladen unsere Muster zu reflektieren, die auf unserem Weg wirken. Hierzu können wir uns beispielsweise fragen: Wie wirken unsere Egos in unser Miteinander hinein? Wovon können wir uns lösen? Welche Muster begegnen uns immer wieder? Was hindert uns daran, im Fließen zu bleiben? Geben wir uns dieser Phase hin, schaffen wir damit Platz für etwas Neues. Dies kann zuweilen schmerzhaft sein, wenn wir uns die Erlaubnis geben, dass alle Gefühle sein dürfen.
Die Natur zieht sich imWinter zurück und bereitet sich auf das Kommende vor. Diese letzte Phase steht für das Innehalten und die Stille. Es ist die Zeit, in der wir uns als Gemeinschaft entschleunigen, uns erholen und neue Energie sammeln. In diesem langsamen Tempo können wir spüren, was ist. Oder auch einfach die Stille genießen. Wir dürfen sein. Wir können uns auf unseren gemeinsamen Kern und unser Anliegen besinnen. Wir bereiten in der Tiefe damit das Neue vor, das auf uns wartet. Vielleicht bildet diese Phase sogar den Kern unseres gemeinsamen Schaffens.
Lebendige Prozesse: sich von den Impulsen führen lassen
Unsere gemeinsamen Prozesse verlaufen nicht linear und nicht parallel zu den Jahreszeiten. Es ist eher ein Vor- und Zurückspringen, und die Dauer der Phasen orientiert sich an den beteiligten Personen mit ihren ganz individuellen Zyklen und Energien. Mal geht es unendlich langsam, dann rasend schnell. Immer wieder und vor allem, wenn es in unserem Miteinander nicht mehr so recht lebendig fließen möchte, geben wir uns Raum. Wir sind dann als Gemeinschaft aufgefordert innezuhalten, zu atmen und zu spüren: Was ist jetzt gerade bewegt? Welche Gefühle sind lebendig, welche Bedürfnisse sind präsent? Manchmal braucht es mitten am Tag einen kleinen Rückzug, um sich wieder zu orientieren. Oder es braucht die Bewegung, die uns inspiriert.
Der Weg entsteht im Gehen
Generell ist die Zusammenkunft ohne eine vorgefertigte Agenda eine Wohltat. Egal ob wir uns für ein Wochenende oder nur wenige Stunden im Team treffen. Die unterschiedlichen Themen und Fragen, die anstehen, können eingangs gesammelt werden. Dann lassen wir uns von unseren Impulsen führen. Dieser lebendige Prozess benötigt Vertrauen. Ein Vertrauen darauf, dass wachsen wird, was werden will. Der Weg entsteht im Gehen und mit jedem kleinen Schritt zeigt es sich klarer. Das WIR wird dann lebendig und es ist eine wahre Freude, in einer solchen Gemeinschaft wirken zu dürfen und gemeinsam zu erschaffen.